Samstag, 24. Juni 2017

Tag 94 - Von Bremen nach Hause (31. Mai)

Und da war er gekommen: Der letzte Tag. Und damit verbunden ein ganz komisches Zeitgefühl, denn auf der einen Seite fühlte es sich so an, als wäre ich gerade erst losgefahren und auf der anderen Seite fühlten sich die drei Monate für mich an, wie mindestens ein Jahr, so viel hatte ich dabei erlebt.

Zum letzten Mal bepackte ich mein Fahrrad mit den vier großen Taschen, der kleinen Lenkertasche, dem Zelt und der Isomatte. Zum letzten Mal setzte ich mein Helm auf und klemmte mein Handy in die Halterung am Lenker. Zum letzten Mal öffnete ich die App "komoot" und suchte meine Route aus. Und dann trat ich in die Pedale und meine letzte Fahrt während der Reise begann.
 
Zwischen Hamburg und Bremen ist hauptsächlich flaches Land: Felder, kleine Dörfchen und ellenlange gerade Wege, die eigentlich ziemlich langweilig sind, aber an diesem Tag war nichts langweilig. Ich dachte an die vergangenen drei Monate, die weniger schönen Momente die überwiegenden sehr schönen Momente, an all die Menschen, die ich kennengelernt habe und an all die Orte, die ich gesehen habe, die Länder, durch die ich gefahren bin. Und das sind: Deutschland, Tschechien, Österreich, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Slowenien, Italien, Frankreich, Schweiz und England. Und gleichzeitig dachte ich viel darüber nach, was jetzt kommen würde: Zwei Monate, die ich damit verbringen würde nach einer Wohnung in Köln zu suchen (Hilfe, ich suche immer noch!!!) und noch so einigem mehr, das in den letzten Monaten angefallen war. Ein Theaterstück, für das ich während der Reise schon viele Ideen gesammelt habe und noch viele weitere Ideen, die irgendwie verwirklicht werden möchten. Außerdem natürlich die Angst, dass mit der Ausbildung (auf die ich mich natürlich wahnsinnig freue) der Alltagstrott beginnt, aus dem ich nicht mehr heraus komme, dass diese Reise die letzte dieser Art sein wird. Und so war meine Umgebung an diesem Tag ziemlich nebensächlich. Das meiste spielte sich in meinem Kopf ab. Einige Freunde wünschten mir über WhatsApp, Snapchat und Co eine gute Heimfahrt und neben der Vorfreude auf meine Familie stieg genauso die Vorfreude auf meine Freunde, die durch viele Sprachnachrichten auch irgendwie dabei waren.
 
Ich machte bei einem Bäcker halt, denn ich wollte am letzten Tag noch einmal so richtig ungesund ernähren. Also kaufte ich mir einen Kakao und ein Schokobrötchen für die nächste Pause.
 
Danach ging es für einige Kilometer im weiter geradeaus: asphaltierter Radweg, Autos links von mir und Bäume rechts von mir, durch deren Äste sich der Sonnenschein einen Weg bahnte und ein schönes Muster auf den Boden vor mir warf. Ich hörte viel Musik und fuhr so schnell, wie selten zuvor, doch das brachte mir so ziemlich gar nichts, schließlich hatte ich mich für um 17 Uhr zu Hause angemeldet. Mein rasantes Tempo hatte also nicht zur Folge, dass ich früher zu Hause ankommen würde, sondern lediglich, dass meine Pausen länger wurden. Also wollte ich eine erste einlegen. Doch wieder waren nirgends Bänke zu sehen, deshalb bog ich nach rechts in einen abgeschiedenen Weg ab und machte es mir auf meiner zusammengerollten Isomatte am Rande eines Feldes gemütlich und aß etwas und trank den Kakao.
 
Als ich wieder weiterfuhr, kam ich nicht einmal 100 Meter weiter an einer Bushaltestelle inklusive Bank vorbei, den Extra-Weg hätte ich mir also sparen können, doch das war mir egal, denn ich hatte Zeit, Zeit und nochmals Zeit. Und nach einigen weiteren eintönigen Kilometern voller Über-Alles-Nachdenks auch noch Hunger. Auf Google Maps suchte ich nach der nächsten Möglichkeit an ein Mittagessen zu kommen und das war natürlich McDonalds, denn wenn man glaubt, das es in der Nähe nicht einmal fließendes Wasser oder Internet gibt, kann man davon ausgehen, dass trotzdem ein McDonalds in der Nähe ist. Also aß ich dort noch einmal und fuhr dann weiter, nach dieser längeren Pause mit weniger Zeit, die ich hätte totschlagen müssen, aber immer noch ohne Zeitdruck.
 
Und dann tauchte es auch schon auf, dieses gelbe Schild, das unschuldig am Straßenrand stand mit der Aufschrift "Freie und Hansestadt Hamburg" und das viel mehr war, als nur ein Schild, es sagte mir: "Willkommen zurück, willkommen zu Hause". Und ich freute mich wieder durch Hamburg fahren zu können. Ich war durch viele große europäische Städte gefahren: Köln, Prag, Wien, Bratislava, Budapest, Zagreb, Ljubljana, Triest, Venedig, Verona, Monaco, Nizza, Marseille, Lyon, Genf, München und London (ohne Fahrrad). Und dennoch ist Hamburg immer noch unter den Top 2 meiner Lieblingsstädte. Da wechseln sich nämlich Hamburg und London je nach Gefühlslage ab. Und als ich durch Hamburg fuhr, war ich übermäßig froh alles wiederzusehen und festzustellen, dass alles noch beim Alten war, leider auch, was die Fahrradwege anging, denn die sind eher ein Hindernisparcour. Stehen gerade keine Menschen, Autos oder LKWs auf dem Fahrradweg, sind es wenigstens Äste, die stören, Scherben, Baustellen, Bäume, die einfach mitten in den Weg gepflanzt werden oder Wegschäden, die ziemlich gefährlich aussehen. Toll sind auch Fahrradwege, die einfach aufhören und man weiß nicht, ob man auf der schmalen Straße oder dem schmalen Fußgängerweg weiterfahren soll.
 
Doch ich überlebte all das und fand mich schon bald auf dem vertrauten Weg von der U-Bahn-Station "Steinfurther Allee" bis zu meinem Zuhause wider. Ich konnte mein Handynavi ausstellen und den Weg fahren, den ich mit dem Bus bestimmt einige hunderte Male gefahren bin und mit dem Fahrrad nun auch schon an die zehn Mal. Während der gesamten Reise habe ich mich nie wirklich verletzt, ich bin einmal vom Rad gestürzt, was eher unangenehm, als schmerzhaft war und ich wurde von keinem Tier gestochen, doch dabei wollte es das Schicksal nicht belassen. Eine Hummel war es, die mir die letzten Kilometer ein wenig vermieste. Gerade war ich bei der "Bäckerei Zimmer", um mir dort das beste Franzbrötchen der Welt zu kaufen, als mich eine Hummel, die mir in den Ausschnitt meines Shirts geflogen war, in den Rücken stach. Ich befreite das Biest und war ziemlich sauer, schließlich hatte sich das Viech ja selbst in die blöde Situation gebracht, kein Grund mich zu stechen, kann ich ja auch nichts für. 
 
Doch die Schmerzen ließen sehr schnell nach und das Ende der Reise nahte immer mehr. Ein letztes Mal hörte ich mir "Das Licht dieser Welt" an, ein Lied, das mich auf der Reise in sehr schönen und besonders als Aufmunterung in den furchtbaren Momenten begleitet hatte und fuhr dann schon in den Allensteiner Weg ein. Meine Eltern und meine Oma warteten schon in der Straße auf meine Ankunft und meine Schwester rannte auf mich zu. Ich war Zuhause. Nach 94 Tagen und 5291 Kilometern mit dem Fahrrad durch Europa. 
 

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